In den Schlussminuten kam Franz Reindl das ehrenvolle olympische Protokoll in die Quere. Der DEB-Präsident fieberte, bangte und hoffte auf der Tribüne des Gangneung Hockey Centres mit der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft, die Nerven in diesem Thriller um Gold gegen das russische Team förmlich zum Zerreißen gespannt. Da rief ihn eine Delegation der Organisatoren in Pyoengchang zur Vorbereitung für die Medaillenzeremonie. „Sie haben mich fünf Minuten vor dem Ende abgeholt, das war furchtbar. Dann musst du durch die Katakomben gehen und kannst das Spiel nicht anschauen“, erinnert sich der 66-Jährige drei Jahre nach den historischen Ereignissen bei den Winterspielen 2018.
Reindl, IIHF-Präsident Rene Fasel und Russlands Präsident Wladislaw Tretjak wurden in einen kleinen Raum geführt. Dort war zwar ein Fernseher, aber das entschädigte natürlich nicht. Als ihnen das Prozedere für die Medaillenübergabe erklärt wurde, hielten es die Drei nicht mehr aus und suchten sich spontan einen Weg in die Halle, standen direkt am Plexiglas hinterm einem Tor. Als Reindl nach oben schaute, war auf dem Videowürfel zu sehen, dass die DEB-Auswahl in Überzahl ist und – wie jeder Eishockey-Fan weiß – zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Ende nach dem Treffer von Jonas Müller mit 3:2 führte. „Tretjak war fertig neben mir, hat geschwitzt und ich war wie aufgeladen und hab‘ geglaubt, jetzt schaffen wir’s“, erzählt Reindl im Gespräch mit Magenta Sport und Patrick Ehelechner.
Doch dann folgte jene unglückliche Verkettung der Ereignisse verbunden mit dem cleveren taktischen Schachzug von Russlands Coach Oleg Snarok, der trotz Unterzahl den Torhüter durch einen zusätzlichen Feldspieler ersetzte. Russland drängte das deutsche Team ins eigene Drittel und in dieser Situation verlor Yannic Seidenberg vor dem Tor seinen Helm und musste regelkonform zur Bank. „In dem Moment hat sich das Verhältnis gedreht – und es war alles wieder offen“, sagt Reindl.
Der Rest ist Geschichte und als der DEB-Präsident nach dem 3:4 in der Overtime auf die Spieler traf und ihnen die Silbermedaillen um den Hals hängte, da wich die Enttäuschung schon langsam wieder dem Stolz auf den größten Erfolg überhaupt im deutschen Eishockey. „Da huschte dann schon wieder ein Lächeln über das Gesicht der Spieler und ich war nur noch dankbar, dass ich die Medaille umhängen durfte. Das war das Größte, da dabei sein zu dürfen“, beschreibt Reindl diese besonderen Momente und fügt hinzu: „Dieser großartige Erfolg hat unheimlich viel verändert. Der Eishockeysport in Deutschland ist seitdem nicht mehr der, der er vorher war.“
Reindl, der als Spieler 1976 Teil des Bronzeteams um Trainer Xaver Unsinn mit Erich Kühnhackl, Lorenz Funk oder Alois Schloder war, erinnert sich an die Silberhelden als eine verschworene Einheit, die mit ihrem Zusammenhalt Berge versetzen konnte. „Die Atmosphäre, die man gespürt hat in der Nähe der Arena, in der Nähe der Kabine. Das war eine Energie, die kann man sich nicht vorstellen“, erzählt er. Jeder einzelne Spieler habe seine Geschichte geschrieben in diesen Wochen vor und während der Winterspiele in Südkorea: „Diese sieben Spiele haben die Mannschaft geprägt und geformt. Wenn man das gesehen hat, wie die Jungs alles füreinander geben haben. Unbeschreiblich.“
Angeleitet von Marco Sturm (Reindl: „Er hatte die richtige Art, das hat halt gepasst, das kann man nicht lernen oder planen.“) mit seinem Trainerteam entfachte die DEB-Auswahl eine bisher nie dagewesene Begeisterung, über fünf Millionen Zuschauer verfolgten in den frühen Morgenstunden in Deutschland das Endspiel, mit großer Euphorie wurde die Mannschaft bei ihrer Rückkehr empfangen. Und die Ereignisse dieses Februar 2018, sie wirken bis heute nach. „Die Clubs und Athleten haben an sich und Powerplay 26 geglaubt, da wurde klar, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Alle haben gesehen, die Spielerentwicklung greift“, erzählt Reindl.
Die gesellschaftliche Akzeptanz sei enorm gewachsen, dazu kamen die Erfolge von Leon Draisaitl in der NHL, Top-Talente wie Tim Stützle, Moritz Seider, Lukas Reichel oder JJ Peterka erschienen auf der großen Bühne. „Das hat uns einen Glanz verliehen, der war vorher unbekannt. Eishockey war plötzlich in, die nationale und internationale Anerkennung hat sich dramatisch gewandelt. In Nordamerika ist der deutsche Spieler kein Exot mehr“, stellt Reindl fest und hofft trotz der großen Schwierigkeiten, die die Corona-Pandemie im gesamten Sport-Deutschland verursacht, eine anhaltend positive Entwicklung: „Ich wünsche mir, dass wir auf dem Weg bleiben. Die Clubs erkennen vermehrt, dass der deutsche Spieler ein Plus ist und nicht nur ein Anhängsel. Es gibt so viele deutsche Spieler, die das können, die die Qualität haben.“
Die Ausbildung der Spieler bleibe das Wichtigste, und bis 2026 sollte es zu schaffen sein, so Reindls Anregung, „die Anzahl transferkartenpflichtiger Spieler weiter zu verringern – bei gleichzeitiger Entwicklung der deutschen Spieler.“ Schon heute gäbe es viele, die tragende Rollen spielen können. „Ich glaube fest an unsere Spieler. Es wird jünger, schneller, attraktiver und am Ende meiner Meinung nach auch günstiger“, sagt Reindl, der auch bereits an den nächsten Schritt denkt: „Ich glaube, dass mittelfristig auch mehr deutsche Trainer einen Platz finden und sich beweisen können. Das ist nächste Level, dass wir dort weiterkommen.“ Damit sich ein solch großer olympischer Moment vielleicht noch einmal wiederholt.