Der deutsche Bundestrainer exklusiv unter anderem über Olympia, DEL, Leon Draisaitl und seinen Umzug
Marco Sturm hat sich nicht nur als Spieler in der NHL und DEL einen guten Namen gemacht, seit zwei Jahren ist er Manager und Trainer der deutschen Nationalmannschaft und konnte in dieser Tätigkeit erste Erfolge feiern.
So ist dem 38-jährigen Niederbayer gelungen, die schwierige Olympia-Qualifikation für 2018 zu schaffen und bei den Weltmeisterschaften 2016 und 2017 führte er die deutsche Mannschaft jeweils ins Viertelfinale, was zuvor keine Selbstverständlichkeit war.
Trotzdem will sich der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) damit zukünftig noch nicht zufrieden geben und strebt höhere Ziele an. Im Projekt POWERPLAY26 wurde das Ziel formuliert bis ins Jahr 2026 bei internationalen Turnieren wieder um Medaillen mitspielen zu wollen.
Doch bis dahin liegt noch viel Arbeit vor dem deutschen Eishockey, wie Sturm im exklusiven Interview mit NHL.com/de durchaus einräumt. Dieses und weitere interessante Themen, wie sein auslaufender Vertrag, wurden im Rahmen eines ausführlichen Gespräches von Sturm mit unserem Chefautor Stefan Herget in seiner neuen Heimatstadt Landshut angeschnitten.
Was macht der Eishockey-Bundestrainer so im Sommer außer umzuziehen?
Sturm: (lacht) „Ja gestern kam endlich der Container an, also bin ich noch fleißig dabei. Ansonsten bin ich sehr viel unterwegs, denn die Saison beginnt generell im Juli. Es laufen schon sehr viele Nachwuchsmaßnahmen. Dann hatten wir unser Olympia-Camp der Nationalspieler in Heidelberg mit einem Fitnesstest. Ich besuche sehr viele Mannschaften, bin bei einem Turnier der U18 in Mannheim dabei. Von daher gibt es auch im Sommer für den Bundestrainer genügend Arbeit.“
Wir haben Deinen Umzug von Florida nach Deutschland schon angesprochen. Gab es dafür berufliche Gründe?
Sturm: „Ein wichtiger Grund war Olympia im Februar nächstes Jahr. Das bedeutet, dass ich sehr viel in Deutschland unterwegs sein muss, weil ich ansonsten nur den Deutschland-Cup als Test für die Nationalmannschaft haben werde. Von daher kam die Familie auf mich zu und hat gefragt, ob nicht ein Umzug nach Deutschland möglich wäre. Die Gelegenheit für diesen Schritt war gerade günstig und wir freuen uns auf diese Erfahrung, die gerade für meine zwei Kinder (Anm.: Sohn Mason Joseph (13 Jahre) und Tochter Kaydie (11)) sehr spannend wird. Sie freuen sich darüber und das ist das Wichtigste.“
Mit der politischen Lage in USA hat es also nichts zu tun?
Sturm: (lacht) „Nein, überhaupt nicht bzw. noch nicht.“
Warum nach Landshut?
Sturm: „Es war für uns immer klar, wenn der Weg zurück nach Deutschland geht, dann nach Landshut. Meine Frau ist von hier und ich bin hier schon fast 25 Jahre heimisch. Nahezu jeden Sommer haben wir hier verbracht und hier fühlen wir uns wohl. In eine Großstadt wie München zu ziehen, hätte uns nicht gefallen.“
Wie sicher kann dadurch davon ausgegangen werden, dass Du Deinen bis 2018 laufenden Vertrag verlängern wirst?
Sturm: „Die Frage habe ich schon öfter gehört. (lacht) Dabei hatte ich erst ein kurzes Gespräch mit Franz Reindl darüber, aber es ist überhaupt nicht wichtig, weil der Vertrag noch ein Jahr läuft. Ich will die kommende Saison erst einmal richtig genießen. Es stehen einige wichtige Termine und Herausforderungen an, dazu gehört auch die Präsidentenwahl von Franz im Juni. Dann wird sich zeigen, wie es überhaupt im DEB weitergehen wird.“
Sind damit Deine Ambitionen eventuell auch in Nordamerika Karriere als Trainer zu machen ad acta gelegt?
Sturm: „Nein, ich bin noch jung und habe noch viel Zeit. Es war zum jetzigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung umzuziehen. Von daher will ich es genießen und daraus lernen. Von Jahr zu Jahr, von WM zu WM sind es tolle Erfahrungen für mich im internationalen Bereich zu arbeiten. Ich versuche so viel wie möglich davon mitzunehmen. Falls dann in der Zukunft so ein Angebot kommen würde, wäre es natürlich ein Traum. Aber das ist noch weit weg.“
Wird der Kontakt zu den NHL-Spielern dadurch nun schlechter, weil der war in Florida definitiv besser?
Sturm: „Der war natürlich besser. Es gibt immer Vor- und Nachteile. Aber mein Kontakt zu ihnen ist sowieso gut. Das wird sich nicht ändern. Ich will ohnehin ein- bis zweimal nach Nordamerika reisen und ein paar Spiele anschauen.“
Es gibt einige Aussagen der NHL-Spieler, dass sie zur Nationalmannschaft kommen, wenn der Marco anrufe. Was machst Du anders als Deine Vorgänger?
Sturm: „Eigentlich nichts. Am Ende des Tages entscheidet der Spieler. Ich drohe keinem. (lacht) Es ist natürlich von Vorteil, dass ich mit einigen Jungs zusammen gespielt habe. Ich bin nicht so weit weg. Das hilft natürlich.“
Wie fällt Dein persönliches Fazit von der abgelaufenen Saison aus?
Sturm: „Es war ein wichtiges Jahr für uns, angefangen mit der Olympia-Qualifikation bis zur Weltmeisterschaft im eigenen Land. Keiner wusste, wo die Reise hingeht und die Jungs haben es toll gemeistert. So haben wir bei der Quali das beste Eishockey gespielt, seitdem ich im Amt bin und das war auch nötig, um zu bestehen. Bei der Heim-WM haben wir erneut das Viertelfinale erreicht und uns gegen Kanada teuer verkauft. Also fällt der Rückblick sehr positiv aus.“
Wo steht der DEB beim POWERPLAY 26 zum momentanen Zeitpunkt?
Sturm: „Es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns. Wir versuchen alles, allen voran unser Präsident, der sich für diese Aufgabe voll engagiert und unser neuer Sportdirektor Stefan Schaidnagel, der wirklich intern einiges bewegt. Wir werden den eingeschlagenen Weg weitergehen. Allerdings sind wir auf die Unterstützung anderer angewiesen und es ziehen leider nicht immer alle mit. Da bleibt uns nur mit unserem positiven Beispiel zu überzeugen.“
Zielt Deine Kritik auch auf den Nachwuchsbereich, wo es nicht optimal läuft und das der Unterbau für dieses Projekt wäre?
Sturm: „Ja, es läuft dort noch nicht gut. Da bin ich ganz ehrlich. Im gesamten Juniorenbereich sieht es derzeit nicht positiv aus. Es existiert ein ziemlich großes Loch, das schon vor ein paar Jahren entstanden ist, wo einiges versäumt wurde und das Resultat ist jetzt zu sehen. Aber ich denke das Projekt zielt in die richtige Richtung und zeigt schon gute Ansätze, die sich in Zukunft auszahlen könnten. Aber die angestrebten Jahre brauchen wir einfach noch.“
Die Schweiz hat hier eine gute Entwicklung genommen. Wird auch der Blick in den Südwesten darauf gerichtet, was dort passiert?
Sturm: „Nein, ich kenne die Schweiz jetzt etwas besser. Es ist nicht alles rosig dort. Sie haben viel mehr Geld zur Verfügung und setzen das in der Nachwuchsarbeit gut ein. In der Nationalliga werden auch verstärkt Schweizer eingesetzt. Das ist dann in der Nationalmannschaft zu sehen.“
Es muss jedoch neidlos anerkannt werden, dass sie bei der WM fast ohne NHL-Spieler gut mitgehalten haben und die Großen mittlerweile ärgern.
Sturm: „Ja, sie haben besser gespielt. Ich habe mir jedes Spiel angeschaut. Es war überraschend, wie gut sie aufgetreten sind.“
Oder die Schweizer U20, die in der Erstklassigkeit auch Paroli bietet?
Sturm: „Überhaupt der ganze U-Bereich der Schweiz ist gut. Aber sie investieren auch mehr und haben mehr Geld zur Verfügung, was bei uns leider fehlt. Aber wir schauen auf uns und unsere Möglichkeiten und machen das Beste daraus.“
Ausdruck dieser Entwicklung ist Nico Hischier, der als erster Spieler außerhalb der Top 6 Nationen an Nummer 1 in der NHL gedraftet wurde. Wie siehst Du die Chance, dass auch einmal ein Deutscher diesen Platz einnehmen könnte?
Sturm: „Ja, warum nicht? Es hängt natürlich immer davon ab, wie stark der jeweilige Jahrgang ausfällt. In diesem Jahr wäre ein Leon Draisaitl vielleicht auch die eins gewesen ohne Hischier schmälern zu wollen. Abgesehen von Leon haben wir derzeit aber sicher keine gute Phase, weswegen weniger Deutsche gedraftet werden. Aber ich bin überzeugt, dass sich das wieder ändern wird und dann vielleicht auch einmal einer von uns ganz oben stehen wird.“
Wie kann sich Eishockey im klassischen Fußballland Deutschland besser positionieren?
Sturm: „Das ist schwierig. Es sind kleine Schritte, die wir meistern müssen. In Deutschland ist es für alle Sportarten hinter Fußball nicht einfach. Aber eine gute Liga und eine gute Nationalmannschaft sind wichtig für die Präsenz in den Medien. Die Zusammenarbeit zwischen den Ligen und dem Verband muss besser werden. Das ist nicht immer der Fall und hemmt die Entwicklung etwas.“
Inwiefern kann das deutsche Eishockey vom Draisaitl-Effekt profitieren?
Sturm: „Der Leon ist weit weg, aber er hat eben seine Entwicklung in der Nachwuchsarbeit in Deutschland gemacht. Das muss natürlich positiv herausgearbeitet werden. Wir sind alle stolz, dass er es so weit geschafft hat. Er sollte Ansporn sein an unsere Jugend, speziell auch hier in Landshut, wo Tobias Rieder und Tom Kühnhackl im Sommer trainieren. Ich finde es gut, dass sie der Jugend ein Vorbild sind und das kann nur positiv und hoffentlich auch motivierend sein.“
Es fällt auf, dass Eishockey durch Draisaitl auch in den Fokus der Berichterstattung durch große Medien rückt. Sind das Effekte, die zu nutzen sind?
Sturm: „Absolut. Von daher ist es wichtig, dass sich die Nationalmannschaft gut präsentiert. So kommen wir mehr in den Fokus. Aus den Momenten wie Olympia oder der Heim-WM müssen wir so viel herausholen und Schritt für Schritt weitergehen. Es war super, dass Leon noch zur WM nach Köln gekommen ist und ein paar Spiele gemacht hat. Genau das hilft unserem Sport weiter.“
Wie schafft es der DEB Draisaitl als Aushängeschild zu nutzen, ihn aber auf der anderen Seite nicht in seinen jungen Jahren zu überfordern?
Sturm: „Es ist ja nicht so, dass er regelmäßig für den DEB im Mittelpunkt steht. Wenn er bei uns ist, dann ist es meine Aufgabe, das zu steuern. Ich denke, wer in der NHL spielt, der kennt den Druck, der damit verbunden ist. Wer mit den Erwartungen nicht umgehen kann, der wird scheitern. Und Leon hat ja auch ein Jahr gebraucht, wo er noch einmal in die Juniorenliga musste. Aber ich denke, er hat es mittlerweile gesehen, gelernt und verstanden, wie mit solchen Situationen umzugehen ist.“
Wie schätzt Du die weitere Entwicklung von Leon ein. Wird es so auf diesem Niveau mit ihm weitergehen?
Sturm: „Er wird wieder und weiterhin seine Punkte machen. Ich sehe keinen Grund, warum er schlechter sein würde als im Vorjahr. Punkte sagen aber auch nicht immer alles aus, doch den großen Ausschlag nach hinten wird er sicher nicht machen. Im Gegenteil, er ist ein junger und hungriger Spieler, der mehr erreichen will und auch kann. Und wenn er einen Connor McDavid an der Seite hat, dann hat er gute Chancen seine Leistung zu wiederholen.“ (lacht)
Ist der neue Vertrag über acht Jahre auch ein Vorteil für den DEB, weil Draisaitl diesbezüglich abgesichert ist und ohne Sorgen, durch eine Verletzung seine NHL-Karriere zu gefährden, für die Nationalmannschaft spielen kann?
Sturm: „Ja, klar. Die Nationalmannschaft stellt schon ein besonderes Forum für einen Spieler dar und Leon weiß das zu schätzen. Ich hoffe und gehe davon aus, dass das bei ihm so bleiben wird. Auf der anderen Seite ist es auch verständlich, dass ein Spieler auch einmal absagt, wenn es für ihn persönlich um viel Geld geht. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Ich hatte schließlich die gleiche Erfahrung gemacht. Doch Leon hat trotz seines auslaufenden Vertrages bei der WM in Köln gespielt, was ihm umso höher anzurechnen ist.“
Muss Draisaitl zukünftig vom DEB für den Fall einer Verletzung im Nationaltrikot und einem möglichen länger folgenden Ausfall teuer versichert werden, wie es im Basketball bei Dirk Nowitzki häufig der Fall war, wenn dieser für die Nationalmannschaft gespielt hat?
Sturm: „Nein. Im Eishockey läuft die Absicherung ausschließlich über das Team und den Spieler selbst. Dazu muss der DEB keine Zusatzversicherung abschließen. Das ist nur ein Thema, wenn sich die Laufzeit des Vertrages dem Ende neigt.“
Die DEL ist ein wichtiger Punkt. Inwieweit muss die Liga das deutsche Eishockey mehr fördern?
Sturm: „Es ist glaube ich kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir die Förderlizenzspieler mehr einsetzen müssen. Wir brauchen weniger Ausländer oder Spieler, die zu schnell eingedeutscht werden. Das sind Bereiche, wo wir weiterkommen und keine Rolle rückwärts machen müssen. Doch das geht auch nicht von heute auf morgen. Zunächst müssen wir als Verband unsere Hausaufgaben machen, insbesondere in der Nachwuchsförderung und dann muss die Liga mehr mitziehen, damit wir in Zukunft ein tolles deutsches Eishockey haben werden.“
Kommen wir noch zum Thema Olympia. Die NHL-Spieler werden wohl nicht zur Verfügung stehen. Erhöht das nicht die Chancen für Deutschland für mehr Furore zu sorgen?
Sturm: „Schwierig, aber eher nein, weil die Schweden und Finnen immer noch besser sein werden als wir. Das muss neidlos anerkannt werden. Norwegen und natürlich die Schweiz werden ebenfalls gut aufgestellt sein. Nach Olympia werden wir schlauer sein. Wir sind dabei und wollen uns wieder genauso gut, wie in den letzten Turnieren präsentieren und weiter steigern. Wenn wir das schaffen, dann werden das Ergebnis und der Erfolg gut sein. Wir werden uns nicht verstecken, in jedem Spiel Vollgas und alles geben und wollen jedes Spiel gewinnen.“
Vom Eigentümer der Washington Capitals war zu lesen, dass er eventuell Spieler für Olympia freigeben würde. Gab es schon ein Signal von Philipp Grubauer, der dort Backup ist?
Sturm: „Nein, das ist alleine eine Geschichte von Alex Ovechkin, der unbedingt teilnehmen will. Dass die NHL es ernst meint, zeigt die Tatsache, dass jetzt auch alle Farmteams und untere Ligen gesperrt wurden. Von daher würde es mich überraschen, wenn jemand aus der NHL teilnehmen würde. Leider.“
Was ist Dein Ziel für Olympia?
Sturm: „Wie schon erwähnt ist es wichtig, dass wir überzeugen und uns teuer verkaufen. Wir müssen darauf aufbauen, wie wir uns in den letzten Jahren präsentiert haben. Die fehlenden NHL-Spieler bedeuten eine Chance für andere Spieler entsprechend eingesetzt zu werden. Hoffentlich bleiben wir von Verletzungen verschont, so dass wir mit dem besten deutschen Kader, mit einem guten Gefühl auftreten und ein gutes Ergebnis erreichen können.“
Marco ich bedanke mich für das ausführliche Gespräch und wünsche Dir in der Aufgabe weiterhin eine glückliche Hand.
Quelle: NHL.com/de