Als das Team um Trainer Uwe Krupp 2011 in Bratislava im Viertelfinale stand und mit 2:5 gegen Schweden verlor, war „Party Rock Anthem“ das weltweit angesagteste Lied, die TV Serie „Game of Thrones“ debütierte gerade auf HBO und die Bosten Bruins und die Vancouver Canucks standen im Stanley Cup Finale.
Ja, das ist schon eine Weile her. Was also war der Auslöser für die Wendung in diesem Jahr?
„Wir haben einen neuen Trainer, und ich denke, dass jetzt wieder jeder zur Nationalmannschaft kommen und für unser Land spielen will“, sagt Veteran-Außenstürmer Philip Gogulla nach dem 4:2-Sieg über Ungarn am Montagmorgen. „Ich denke, dass ist der ausschlaggebende Punkt.“
Gogulla könnte Recht haben. Mit Marco Sturm an der Bande hat Deutschland einige Schlüsselsiege einfahren können; Der erste Sieg gegen die USA seit 2010 und gegen die Slowakei seit 2011. Als deutscher Torschützenkönig und erfolgreichster deutscher Spieler mit den meisten Spielen in der NHL-Geschichte (242-245-487 in 938 Spielen) bringt Sturm nicht nur eine unerbitterliche Arbeitsmoral in die Eishalle, sondern er hat auch immer ein Lächeln auf den Lippen. Und sein Wille zu Siegen trägt er mit nach St.Petersburg.
Man kann den greifbaren Enthusiasmus der Gruppe um Marco Sturm, der mit 37 Jahren gerade erst seine aktive Karriere beendete, spüren. Sein zwei-Jahres-Vertrag für den Posten als Cheftrainer sowie General Manager der Nationalmannschaft läuft noch bis nach der anstehenden 2017 Heim-WM in Köln und Paris. Sollte Deutschland die Olympia Qualifikation im September 2016 erfolgreich abschließen, wird sein Vertrag bis 2018 verlängert werden.
Hier und jetzt ist Sturm erfolgreich, ohne die Besetzung der Mannschaft grundlegend zu ändern, weckt er den Charakter des deutschen Teams. Schließlich ziehen sich elf Spieler hier das Trikot über, die auch beim Desaster des 14.Platzes unter Trainer Pat Cortina im vergangenen Jahr dabei gewesen sind. Außerdem sind sieben Rückkehrer des Viertelfinals 2011 im Aufgebot.
Die drei deutschen Topscorer mit je sieben Punkten heißen Philip Gogulla, Felix Schütz und Patrick Hager. Sie alle sind Langzeit-Veteranen der Nationalmannschaft. Ein raffinierter Newcomer wie Dominik Kahun (vier Punkte) sorgt in der Offensive für viel Abwechslung, auch wenn er kein Spielentscheider wie der 18jährige Patrik Laine ist.
Letztlich macht Deutschland das, was Deutschland eben macht – besser sein als für gewöhnlich, einzeln und als Team. Hager zum Beispiel hatte in 26 WM-Spielen gerade mal ein Tor und drei Assist bis zu diesem Jahr – jetzt hat er nach der Gruppenphase bereits sieben Zähler auf seinem Konto. Mit 22 Toren in sieben Spielen hat die deutsche Mannschaft in diesem Turnier bereits so viele Punkte gemacht, wie zuletzt 2002 (25 Tore in sieben Spielen auf dem Weg zum 8.Platz unter der Leitung von ultra-defensiv Coach Hans Zach).
Als wir den deutschen Kapitän, Marcel Goc, fragten, ob er beurteilen könne, was sich im Gegensatz zu all den vergangenen Flops getan hätte, sagte er: „Ich denke, wir halten und vertrauen mehr in unseren Spielplan. Internationale Vergleiche sind in der Regel immer eng. In den ersten beiden Spielen haben wir sehr durchwachsen gespielt und beide Spiele verloren. Dann haben wir unser Tempo und Spiel aufgenommen.“
Blickt man zurück, dann hat Deutschland nach jedem Jahr in dem es das Viertelfinale seit 2011 nicht erreicht hat, ein wenig mehr abgebaut.
2012 in Stockholm schadete eine unüblich schwache Defensive das Team von Jakob Kolliker. Deutschland fand nach einer 2:3-Niederlage im zweiten Spiel gegen Lettland nicht mehr zurück ins Turnier. Der Tiefpunkt war die 4:12-Niederlage gegen Norwegen. Deutschland wurde nach einer 1:8-Niederlage gegen Tschechien letztlich Zwölfter.
2013 in Helsinki, verlief nach dem Motto: Knapp daneben ist auch vorbei. Deutschland startete mit einer 3:4 OverTime-Niederlage gegen Finnland und endete mit einem 3:2-Sieg gegen Frankreich dank Christian Ehrhoff´s OverTime-Treffer. Und obwohl Deutschland Punkte sammelte und nie mit mehr als drei Toren Unterschied verlor, sollte es nicht reichen. Cortina belegte bei seiner Jungerfahrt an der deutschen Bank den neunten Platz.
2014 summierten die Deutschen die selbe Anzahl an Toren wie im Jahr zuvor (13), ließen aber auch sieben mehr zu (von 16 auf 23). Nachdem sie Kasachstan und Lettland in ihren ersten beiden Spielen in Minsk schlugen, folgten fünf Niederlagen in Folge, was letztlich den 14.Platz bescherte. Einer der Lichtblicke war WM-Rookie Thomas Oppenheimer mit vier Toren und zwei Assists.
Letztes Jahr in Tschechien bei Cortinas Abgesang sank der Gegentorschnitt dann auf 11 zu 24. Spiele wie die 0:1-Niederlage gegen die Schweiz oder die 2:3-Niederlage nach Penaltyschießen gegen Österreich war dann der Inbegriff für den Mangel am Toreschießen der Mannschaft in den entscheidenden Momenten. Deutschland schloss das Turnier auf dem zehnten Platz ab.
Wie sieht es mit 2016? Deutschland hat es nicht nur ins Viertelfinale geschafft, sondern konnte in der Gruppe B sogar den 3.Platz belegen. Deutschlands Viertelfinalgegner wird Gastgeber Russland sein (Donnerstag, 19.05.2016 / 19.15 Uhr). Thomas Greiss ist der erste reguläre NHL-Torhüter, der seit der Glanzzeit von Olaf Kölzig für die deutsche Mannschaft auf dem Eis steht (2.36 GAA und 92.5 Fangquote für die New York Islanders in 41 Spielen). Auf ihn wird am Donnerstag im „Do-or-Die“-Spiel gegen die Sbornaja eine große Menge Arbeit zukommen.
„Es ist egal, was in der Vergangenheit passiert ist“, sagt Goc. „Wir sind glücklich, dass wir es in die nächste Runde geschafft haben. Aber wir geben uns damit nicht zufrieden. Wir wissen, dass es eine schwere Partie werden wird und das wir auf jeden Fall der Underdog sein werden. Aber wir werden Ihnen alles entgegenbringen, was wir haben. Und wir wissen, dass Greisser, unser Torhüter, alles für uns geben wird. Wir müssen auf unsere Chancen lauern und hoffen, dass wir vorne dann ein, zwei Dinger machen können.“
Deutschlands Charakter wird gefragt sein. In der Offensive werden sie ohne Tobias Rieder (Knieverletzung) und Gerrit Fauser (Schulterverletzung) auskommen müssen. In der Verteidigung hat Torsten Ankert (Hüftverletzung) bereits die Heimreise antreten müssen.
Erfreut über das Ende der fünf Jahre andauernden Dürre der K.O.-Phase sind die deutschen Fans hungrig auf Erfolge. Wer könnte in diesen Viertelfinals als Held aufkommen? Das letzte Mal, als Deutschland siegte, war 2010 in Mannheim. Gogulla traf legendär zum 1:0 gegen die Schweiz. Was also sagt der 28jährige Kölner Haie Spieler im Hinblick auf das entscheidende Spiel am Donnerstag?
„Alles ist möglich.“
von der IIHF / Lucas Aykroyd