Christian Künast erlebte als Profi die Heim-WM 2001, die zu einem wichtigen Moment im deutschen Eishockey wurde, war bei den Olympischen Spielen 2002 und über lange Jahre Torhüter in der DEL. Danach prägte der Trainerberuf sein Leben und vor bald sechs Jahren kam der Landshuter dann als Coach der U20-Nationalmannschaft zum Deutschen Eishockey-Bund e.V., bei dem er ab 2019 die Frauen-Nationalmannschaft trainierte. Seine bisherige Krönung war die historische Silbermedaille bei Olympia 2018, als er Teil des Trainerteams um Marco Sturm war. Seit einigen Monaten fungiert Künast als Interims-Sportdirektor des DEB. Vor seinem 50. Geburtstag am Sonntag sprachen wir mit ihm über Stationen seiner Karriere und seine aktuelle Tätigkeit.
deb-online.de: Christian, der 50. Geburtstag wird gern als Mittelpunkt des Lebens bezeichnet. Hast du das Gefühl, mitten im Leben zu stehen, im Zenit deines Schaffens sozusagen?
Christian Künast: Rein nach Zahlen bin ich wahrscheinlich drüber. Aber so wie ich mich fühle, bin ich noch nicht mal in der Mitte angelangt, da ist noch viel, viel Platz und viel, viel Zeit. Ich habe mir auch noch nicht so viele Gedanken gemacht. Ich weiß, ich werde 50, das ist für einige groß, wenn man diesen Punkt erreicht. Aber dank meiner Arbeit, meines Pensums, habe ich auch gar nicht so viel Zeit, um darüber nachzudenken.
deb-online.de: Ist denn der 50. Geburtstag überhaupt ein besonderer Einschnitt, ein besonderer Tag, wenn du jetzt doch einmal darüber nachdenkst?
Künast: Nein, dieselbe Frage bekommt man mit 30 und 40. Vielleicht schau ich jetzt etwas älter aus, aber ich habe absolut kein Problem damit. Ich bin gesund, mir macht meine Arbeit Spaß und ich stehe nicht auf am Sonntag und sage: Wow, jetzt bin ich 50. Es geht einfach weiter.
deb-online.de: Große Feiern sind ohnehin nicht möglich, aber gönnst du dir etwas Besonderes an dem Tag?
Künast: Ich bin grundsätzlich froh, dass es keine große Feier gibt an dem Tag, ich bin lieber im kleinen Kreis mit meiner Frau, die für mich eine große und ganz wichtige Stütze ist. Ich weiß, dass meine Kinder kommen werden im Wechsel. Ich bin gerade Opa geworden, mein Enkelkind kommt zum ersten Mal zu uns nach Hause, das ist etwas Besonderes und das reicht mir auch schon. Irgendwann im Laufe des Tages schauen noch meine Eltern vorbei. Ich mag’s eher ruhig und so wird der Tag auch verlaufen.
deb-online.de: Wie viele Jahre von diesen 50 sind vom Eishockey geprägt?
Künast: 44. Ich war gerade sechs Jahre alt, als ich zum EV Landshut gekommen bin. Ich weiß noch wie heute, als sie zu mir sagten: Feldspieler haben wir genug, aber wir brauchen einen Torwart. Also bin ich ins Tor gegangen und trotz Schule, Berufsausbildung, Bundeswehr bin ich immer irgendwo mit dem Eishockey zusammengeblieben. Und das wird bis zur Rente und darüber hinaus so bleiben.
deb-online.de: Christian Künast ohne Eishockey ist also nicht vorstellbar …
Künast: Nicht möglich.
deb-online.de: Was sind besonders schöne Erinnerungen an die Nachwuchszeit?
Künast: Ich komme aus relativ einfach Verhältnissen und meine Eltern haben mir alles ermöglicht, was sie konnten. Und ich bin ihnen dafür ewig dankbar. Durch das Eishockey ist aber etwas dazugekommen, was andere Kinder vielleicht nicht hatten mit Auslandsreisen, mit Turnieren, mit dieser speziellen Kameradschaft. Ich habe noch heute Kontakt zu Leuten, mit denen ich damals Eishockey gespielt habe als ich sechs war. Das ist etwas Besonderes und ich kann jedem nur einen Teamsport empfehlen, das schweißt zusammen. Es war so unbeschwert, du bist als Siebenjähriger mit dem Rad ins Stadion, es gab kein Telefon so wie heute. Da war immer eine Gruppe zusammen, auf dem Eis und in der Freizeit, das ist hängengeblieben. Das hat es einzigartig gemacht.
deb-online.de: Gibt es aus deiner Profikarriere eine Station, die dir besonders ans Herz gewachsen ist?
Künast: Ich bin natürlich mit meinem Heimatverein verbunden, mit dem EV Landshut, das wird immer so sein, das ist ganz normal. Ich habe viele schöne Stationen gehabt und ich habe wie jeder in seinem Leben auch negative Erlebnisse gehabt. Aber wenn irgendwo eine Station besonders hängenbleibt, und das sage ich immer wieder, dann waren das die zwei Jahre in Hamburg. Das war mit die schönste Zeit – unabhängig vom Sport. Es war eine tolle Stadt, ich bin mit der Mentalität der Menschen sehr gut zurechtgekommen und ich habe gesagt, wenn es eine Stadt in Deutschland gibt, in der ich mir vorstellen könnte zu leben außerhalb Bayerns, außerhalb von Landshut, dann wäre es Hamburg.
deb-online.de: Die Freezers waren ein Hit in Hamburg.
Künast: Die Begeisterung war unglaublich. Ich weiß, wir haben mit zwölf Auswärtsspielen begonnen und dann war die Color Line Arena fertig für das erste Heimspiel. Da ist alles zusammengebrochen, die Telefonleitung für Kartenanfragen zum Beispiel, es war ein unglaublicher Hype auch in den Medien. Es hat so einen Spaß gemacht, die Stadt war so dankbar für einen anderen Sport neben dem Fußball. Schade, dass das nicht mehr in dem Rahmen da ist.
deb-online.de: Was ist die speziellste Erinnerung an die Nationalmannschaft, ist es die Heim-WM 2001?
Künast: Das ist relativ einfach, es war ja als Spieler nicht so viel, was infrage käme, und es ist ganz klar das Eröffnungsspiel bei der Heim-WM gegen die Schweiz, als wir 3:1 gewonnen haben. Das habe ich sogar noch einzelne Szenen vor Augen.
deb-online.de: Olympische Spiele hast du 2002 in Salt Lake City als Profi aber ja auch erlebt …
Künast: Sportlich war es für mich nicht so erfolgreich, eher durchwachsen, das sieht man auch an meiner Statistik. (lacht) Es war aber ein unglaubliches Erlebnis, als Athlet zu Olympia zu kommen. Ich habe in meiner Geldbörse damals einen Zettel mit drei Zielen gehabt: eines davon war, als Aktiver zu Olympia zu kommen. Das war für mich ein Meilenstein. Aber einschneidend und immer im Gedächtnis bleibt dieses Spiel bei der Heim-WM 2001 in Köln.
deb-online.de: Hat der Trainer Christian Künast in seiner Arbeit auch die Attribute des Spielers?
Künast: Ich war als Spieler ein Arbeiter, ich war nie ein Supertalent und es gibt eine Aussage von George Kingston, der in den 90er Jahren Bundestrainer war und er hat mich damals zur WM 1996 nach Wien mitgenommen als dritter Torhüter: Er sagte, dass ich vielleicht nicht der Beste war für diese Position, aber ich war von allen der härteste Arbeiter, die infrage kamen. Das ist etwas, was mich weiter auszeichnet. Egal, ob ich Nachwuchstrainer war auf Vereinsebene oder Bundesnachwuchstrainer oder Frauen-Bundestrainer oder jetzt in der aktuellen Funktion. Ich mache alles mit Leidenschaft und Feuer, bei mir gibt es nichts, was liegenbleibt, das ist mir zuwider. Ich muss meine Arbeit tun, ansonsten finde ich keine Ruhe. So war ich als Spieler und jetzt noch viel mehr.
deb-online.de: Jetzt sind es schon einige Monate in der Position als Interims-Sportdirektor, wie betrachtest du diese Zeit in der Rückschau?
Künast: Es ist sehr viel passiert und es ist glaube ich wie bei allem. Man beginnt an Tag X und legt sich einen Plan zurecht – und wenn ich jetzt über mein Konzept schaue, habe ich schon zehn Punkte geändert, weil sich Erfahrungen auftun und ich merke, dies und jenes geht so nicht, hier braucht man mehr, hier weniger als gedacht. Es ist viel, viel außen um den Sport herum, das war mir aber klar. Ich versuche dennoch, den Sport nicht liegenzulassen. Die Aufgabe füllt einen aus, es macht enorm Spaß und jeden Tag kommt etwas Neues auf einen zu.
deb-online.de: Was sind aktuell gerade die Schwerpunkte?
Künast: Wir haben drei Weltmeisterschaften vorzubereiten unter diesen schwierigen Bedingungen. Da sind wir auf einem guten Weg. Die Kontaktaufnahme mit der Oberliga, die Zusammenarbeit mit den Landeseissportverbänden, die intensive Zusammenarbeit mit den Profiligen, auch das läuft. Und dann ist es ganz wichtig: Wo wollen wir sportlich hin? Powerplay 26 existiert, Powerplay 26 2.0 soll kommen – egal, wie es dann heißt. Es geht darum, dass wir wissen: Wohin soll der Weg gehen im deutschen Eishockey. Man muss langfristig denken, das heißt im Nachwuchs acht bis zehn Jahre und in diese Richtung gehen meine Vorstellungen bereits und ich möchte auch wissen: Wo ist Eishockey-Deutschland 2030?
deb-online.de: Dass du gerne in der Position weitermachen würdest über die Saison hinaus, hast du bereits kundgetan. Welche Motivation treibt dich an, was wäre dein Vorhaben?
Künast: Egal, in welcher Sportart, Erfolg kann immer ablenken und dann treten Entwicklungen ein, die keiner will und die in die falsche Richtung gehen. Wir hatten 2018 die Silbermedaille und einen überragenden Hype, ja. Aber es ist so viel mehr möglich, auch wenn es vielleicht mal einen Schritt zurückgeht. Aber wenn man an den richtigen Rädchen und Schrauben dreht, ist so viel mehr möglich – überall, auf jedem Gebiet und vor allem sportlich. Wenn wir es schaffen, den Nachwuchs noch besser aufzustellen, noch breiter aufzustellen, dass wir so viele deutsche Nachwuchsspieler produzieren, dass kein Mensch mehr an ihnen vorbeikommt. Wenn das einmal erreicht ist, dann sind wir absolute Weltspitze.
deb-online.de: Wäre das etwas, was du als eine Vision für dich bezeichnen würdest – zu erleben, dass Deutschland in der absoluten Weltspitze ankommt?
Künast: Wir sind nicht weg von der Weltspitze, aber was ist die absolute Weltspitze? Das heißt, jedes Jahr konstant um Medaillen mitzuspielen oder im Vorfeld erwähnt zu werden als Kandidat dafür. Wir sind den Schritt davor und diese Mentalität muss kommen, jetzt geht’s weiter, jetzt wollen wir mehr als regelmäßig das Viertelfinale, jetzt wollen wir ins Halbfinale oder das große Ganze. Das ist der nächste Schritt, der kommen sollte. Das ist auch möglich. Es wird noch länger dauern, bis man konstant sagen kann: man ist da. Aber das wäre so eine Vision, wenn man davon sprechen will. Man soll sich hohe Ziele setzen, die aber auch erreichbar sein müssen. Und ich glaube, es ist erreichbar, vielleicht noch etwas weiter weg, aber erreichbar.
deb-online.de: Ist das, diese Mentalität zu entwickeln, etwas, was dich auch mit deinem Schwager Marco Sturm verbindet?
Künast: Was den Antrieb angeht, sind das zwei Welten. Marco ist ein unglaublich ehrgeiziger Mensch, was den Sport betrifft. Absolut liebenswürdig außen, aber was den Sport angeht: immer gewinnen. Nicht mit allen Mitteln, das ist er nicht, aber er hat in seinem ganzen Sportlerleben viel mehr Drive gehabt. Wir haben, das ist ewig her, im Urlaub ein Tennis-Doppel gespielt, da war er mein Gegner und sie haben dieses Doppel verloren, und die Verlierer mussten die Sieger den ganzen Abend bedienen. Er hat mit mir kein Wort gesprochen den ganzen Abend, obwohl es unser Urlaub war. Diese Mentalität: Viertelfinale und weiter, das ist genau er, das von ihm gekommen. Und da sitzt mit Toni Söderholm jetzt jemand beim DEB im Haus, der genau so denkt. Er sagt auch, es gibt keine großen Gegner mehr, die sind alle gleich.
deb-online.de: Hat die persönliche Beziehung zu Marco Sturm die Olympia-Silbermedaille 2018 für dich noch emotionaler gemacht, wenn das überhaupt geht?
Künast: Wenn ich für ihn gearbeitet habe, dann war es sehr professionell und von mir hat er fast noch mehr verlangt, weil nie der Eindruck entstehen sollte, dass ich nur wegen ihm da bin. Es gibt nur 100 Prozent Profi in der Arbeitsbeziehung. Das ist ein Punkt. Aber es gab sehr emotionale Momente, als wir zu zweit in der Kabine waren nach den Erfolgen. Das war zwischen uns und das wird auch zwischen uns bleiben. Wir sind sowieso auf ewig verbunden und dadurch vielleicht noch etwas mehr.
deb-online.de: Abschließend gefragt: Was hat dich Eishockey fürs Leben gelehrt?
Künast: Dass man wirklich, wirklich viel erreichen kann, wenn man dran glaubt und viel dafür arbeitet. Das habe ich mitgenommen. Wenn mir als Zehnjähriger jemand gesagt hätte: Ich bin bei Olympia als Spieler, ich bin bei Olympia als Trainer, ich gewinne eine Medaille, dann hätte ich den in diesem Alter für verrückt erklärt. Glaube und harte Arbeit können viel bewirken, das habe ich mitgenommen und so habe ich auch meine Kinder erzogen.