Bei einem virtuellen Pressegespräch im Rahmen des Nationalmannschaftslehrgangs eines Perspektivteams in Füssen haben sich Sportdirektor Stefan Schaidnagel und Bundestrainer Toni Söderholm zu verschiedenen aktuellen Themen im Eishockey geäußert. Dazu gehörten neben den Planungen für den Deutschland Cup auch der bevorstehende NHL-Draft und verschiedene Szenarien in Bezug auf den Ligenspielbetrieb.
DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel …
… über den Lehrgang in Füssen
„Der Lehrgang war für uns sehr wichtig, weil wir sehr heterogene Ausgangslagen in den Vereinen haben. Wir haben einen unterschiedlichen Leistungsstand im Moment bei den Spielern über die Nationalmannschaften hinweg. Da war es wichtig, dass wir eine Maßnahme einrichten und durchführen, die für die Spieler ein Zeichen ist, dass sie gut aufgehoben sind und dass wir trotzdem auch versuchen, einen Beitrag für das gesamte deutsche Eishockey zu leisten. Ich denke, das ist bisher aus trainings- und sportfachspezifischer Perspektive über alle Lehrgänge hinweg gut gelungen. Die Spieler, die Trainer und der Staff freuen sich spürbar, dass sie ihrer Arbeit nachgehen können. Der Lehrgang ist auch sehr wichtig vor dem Hintergrund, dass wir trotzdem vor Großereignissen stehen. Insofern ist jeder Eiskontakt, jede Maßnahme der Spieler im Hinblick auf die WM und auf ein kommendes Olympia-Turnier sehr, sehr wichtig.“
… über die Kaderauswahl für den Lehrgang
„Wir müssen uns um die Spieler kümmern, die im großen Kader stehen. Wir wissen von den Nationalspielern, die in der ersten Reihe stehen, was wir bekommen, wie sie unterwegs sind, was sie trainiert haben. Im U23-Team müssen wir noch mehr investieren in die Zukunft, deshalb haben wir diese U23-Maßnahme damals ins Leben gerufen. Wir müssen das Zeichen geben, dass der Nachwuchs, die Reihe der Nationalspieler, die in den nächsten Jahren im Fokus stehen, dass wir die gut bespielen und trainieren. Das ist keine Klassifizierung, sondern eine Investition für die Zukunft. Die klassischen Nationalspieler müssen wir in der Trainingssteuerung schon im Auge behalten, denn wenn es einmal losgeht, dann spielen die fast eineinhalb, zwei Jahre lang durch.“
… über die bevorstehende Entscheidung zum DEL-Saisonstart
„Es ist natürlich eminent wichtig, dass du deine Top-Spieler in deiner Top-Liga auf dem Eis hast, das ist gar keine Frage. Die DEL hat das Zeichen gegeben, dass sie auf jeden Fall eine Saison spielt, das ist den letzten Äußerungen zu entnehmen. Wir begrüßen natürlich sehr, dass die DEL einen Spielbetrieb – welcher Art auch immer – gewährleistet. Das ist für uns ein ganz wichtiger Aspekt. Wir müssen das große Ganze sehen und da spielen ganz verschiedene Komponenten hinein in die sportliche Leistungsgenerierung. Da ist der Ligaspielbetrieb, der Alltag der Spieler, dazu kommen unsere Maßnahmen, wo die Bundestrainer versuchen, ihre Konzepte umzusetzen, ihre Philosophien zu trainieren. Und da müssen wir streng die Linie halten, um das alles zusammenzubekommen im Hinblick auf die WM, auf Olympia und auch die Nachwuchsnationalmannschaften. Wir haben in der Weltstandsanalyse einen Rückstand von knapp fünf bis sechs Monaten, weil die anderen großen Nationen zum Teil durchtrainiert haben oder jetzt in den Spielbetrieb kommen. Und darum müssen wir immer nachjustieren und schauen, was machbar ist.“
… über den Deutschland Cup
„Wir werden Stand jetzt den Deutschland Cup spielen. Die genauen Details werden mit der Landesregierung im Moment besprochen. Zur Hallen- und Zuschauersituation sind wir im Austausch, was möglich ist. Wir werden Zuschauer haben, sofern es dort keine außerordentliche Pandemie-Lage gibt. Wir sind im Austausch auf Landes-, regionaler und kommunaler Ebene. Wir haben auch bei der Einreise verschiedene Szenarien, sind mit dem Auswärtigen Amt im engen Austausch, Stand heute ist das auch möglich unter bestimmten Restriktionen und Bedingungen – etwa ein Coronatest vor der Einreise nicht älter als 48 Stunden und auch einem Testprozedere während des Deutschland Cups. Wir haben den Bereich Zuschauer in der Budgetierung des Deutschland Cups so angesetzt, dass er praktisch nicht defizitär läuft. Wir haben den Deutschland Cup in der Finanzierung auf mehrere Beine gestellt und sind bereit mit weniger Zuschauern – ohne genaue Prozente zu nennen – zu spielen, ohne in budgetäre Probleme zu kommen. Natürlich muss auch der Verband aufs Geld schauen, wenn die Saison verspätet startet oder auch durch andere coronabedingte Kosten. Wir haben z.B. über 120.000 Euro Mehrkosten durch Tests in den Nationalmannschaften oder durch medizinische Beratungskosten. Dann muss der Verband auch ganz hart den Bleistift ansetzen und anschauen, wie sich die Lage über die nächsten Monate entwickelt.“
… über die Bewertung der Situation im WM-Co-Gastgeberland Belarus
„Die Frage stellt sich für uns derzeit nicht vorrangig und nicht direkt, weil es andere Instanzen gibt, die darüber befinden müssen und von deren Entscheidungen wir abhängig sind. Erst dann bekommt man eine Richtlinie. Wir müssen jetzt schauen, dass wir überhaupt erstmal die sportliche Wertigkeit in unseren Nationalmannschaften hinbringen. In Bezug auf die sportliche Wertigkeit und sportliche Durchführbarkeit ist es bei uns deshalb noch nicht aktiv auf dem Schirm. Fakt ist zudem, dass der Weltverband IIHF und politische Institutionen die Lage gerade prüfen und bewerten.“
… über die Arbeit des deutschen Eishockeys in der Coronakrise auf politischer Ebene
„Wir arbeiten im letzten halben Jahr zusammen auf der politischen Ebene und versuchen, das Beste für das deutsche Eishockey herauszuholen. Die DEL hat ihre wirtschaftlichen Zahlen und hat den Weg gewählt, den sie geht mit der Adressierung ihrer Probleme und einer finanziellen Summe. Das ist legitim, wie es dann gesehen wird von der politischen Seite, das kann ich ganz schlecht bewerten. Wir vom Verband sagen seit Beginn der Krise: Es ist eminent wichtig, und das hat die Erfahrung gezeigt, dass man als Sportart gemeinsam vorangeht – in jeder Hinsicht. An den entscheidenden Stellen bei den politisch Handelnden passiert das, wir im Verband sehen den roten Faden. Dann gibt es aber eine Komponente, wo jeder für sich die Probleme adressieren darf. Der DEB kann der DEL nicht sagen, ihr müsst das so oder so machen, weil sie eigenständig ist.“
Bundestrainer Toni Söderholm …
… über den Lehrgang in Füssen
„Wir haben sehr intensiv trainiert und einige taktische Systemsachen gemacht – und das in vielen Gesprächen und per Video analysiert. Man hat gemerkt, dass es viel für die Spieler ist, sie überlegen viel. Die Jungs sind mit einer sehr, sehr positiven Stimmung hergekommen. Sie lachen viel, sie trainieren fleißig. Ich bin sehr positiv, wie das gelaufen ist. Ich kann sie von meiner Seite für ihr Engagement nur loben.“
… über die bevorstehende Entscheidung zum DEL-Saisonstart
„Aus sportlicher Sicht wäre eine weitere Verschiebung katastrophal für die Spieler und katastrophal für die Nationalmannschaft, eine sehr schwierige Situation. Der Punkt, der mich am meisten sorgt, ist, dass fast alle anderen Länder schon im Spielbetrieb sind oder sich vorbereiten auf die Saison. Als Spieler musst du ein Ziel haben, musst du eine Richtung haben in allem, was du tust. Das fehlt jetzt von außen ein bisschen. Da kann ich die Spieler verstehen, dass es nicht leicht ist, sich von Woche zu Woche zu motivieren. Wir hoffen, alle hoffen, dass bald eine Entscheidung kommt. Wenn es so wäre, dass die DEL nicht spielt – was ich mir nicht vorstellen kann – dann müssen wir noch weitere neue Pläne zusammenbasteln. Das ist eine Überlegung, die man aber eigentlich nicht machen will.“
… über die mögliche hohe Belastung der Spieler, wenn es losgeht
„Ich kann das nicht beeinflussen, wie eng der Spielplan wird. Wir müssen die Belastung auf alle Fälle im Auge behalten, wir brauchen auch regelmäßig Feedback von den Spielern, um die WM-Vorbereitung clever vorzubereiten und planen zu können. Das ist eine Sache, die wir dann fast wöchentlich im Auge haben müssen. Das wird ein sehr großes Thema sein, weil es auch Auswirkungen hat auf die Saison 2021/22 und Olympia, weil die Pause im nächsten Sommer sehr kurz sein wird.“
… über den Deutschland-Cup
„Der Plan ist, dass wir mit der bestmöglichen Mannschaft spielen werden, das ist klar. Es wird, auch wenn nochmals eine Verschiebung in der DEL kommt, eine etwas erfahrenere Mannschaft als letztes Jahr spielen. Wir müssen jede Chance nutzen und wir müssen alle Möglichkeiten durchplanen. Egal, von wo die Spieler kommen, wir wollen den Deutschland Cup gewinnen. Bei den NHL-Spielern wird die mögliche Versicherungssache ein Thema werden, etwas einfacher ist es bei den Spielern, die jetzt an die DEL ausgeliehen sind.“
… über mögliche Szenarien für die Nationalmannschaft, wenn die Liga nicht spielen würde
„Wenn nicht gespielt würde, würden wir als Beispiel alle internationalen Spielpausen nutzen, die im November, im Dezember und auch im Februar. Dann müssen wir früher mit der WM-Vorbereitung anfangen – mindestens drei Wochen früher. Wir bleiben derzeit bei dem Plan, dass wir sechs oder sieben Spiele hinkriegen. Im Fall, dass nicht gespielt wird, müssen wir noch früher anfangen und dann bräuchten wir da auch noch mehr Spiele.“
… über Tim Stützle und den bevorstehenden NHL-Draft
„Bei Tim sieht man eine langfristige Entwicklung vom letzten bis zu diesem Sommer. Er ist kräftiger geworden, das hat seine Handlungsschnelligkeit auf dem Eis aber nur positiv beeinflusst. Tim ist neugierig und will sich wirklich jeden Tag verbessern. Ich sehe seine Entwicklung weiterhin positiv. Es ist ein unglaublich langer Weg, bis junge Spieler zu einem perfekten Eishockeyspieler werden, das müssen sie ruhig und nüchtern analysieren. Tim lässt es auch zu, dass man ihn entwickelt, macht sich keinen Stress, dass alles sofort passieren muss und genießt die Reise durch seine Karriere. Ich sehe die Chance sehr gut, dass auch John Peterka und Lukas Reichel in der ersten Runde gezogen werden. Die Anfragen aus der NHL in den letzten Monaten zeigen mir schon, dass es Richtung erste oder zweite Runde geht. Da kamen nicht nur allgemeine Fragen, sondern es wurde wirklich konkret nach dem Potenzial für die NHL gefragt. Das ist interessant und hilft auch zu wissen, was heute in der NHL wichtig ist und wie man sich und auch das Umfeld des Spielers darauf vorbereiten muss. Sie hatten richtig viele Interviews, richtig viele Fragebögen auszufüllen. Ich hoffe natürlich, dass es klappt, denn es wäre für das deutsche Eishockey ein großer Tag, sollten alle Drei in der ersten Runde gedraftet werden.“
Fotos: DEB