Berliner hat in Jets-Organisation überrascht und begreift den Sommer als Chance zur Entwicklung
Bei Leon Gawanke hat es klick gemacht – findet jedenfalls der Bundestrainer. „Er hat sich in den letzten Jahren auch mental sehr entwickelt und versteht jetzt, wie hart er in die Zukunft noch arbeiten muss, um seine Qualitäten irgendwann voll auszuschöpfen“, sagt Toni Söderholm über den begabten Verteidiger, der in seiner ersten Profisaison die Erwartungen so mancher Experten übertraf. War der Berliner im Farmteam der Winnipeg Jets zunächst Teil einer Verteidigerrotation und kein fester Bestandteil der Top-Sechs, hatte er sich schließlich bis zum AHL-Saisonabbruch im März vor allem mit seinem Offensivdrang ziemlich unverzichtbar gemacht.
„Es ist besser gelaufen, als sich das jeder vorgestellt hat“, sagt Gawanke, der sein AHL-Debütjahr nach 48 Spielen für Manitoba Moose mit bemerkenswerten vier Toren und 22 Assists beendete: „Ich war selbst sehr überrascht davon – es ist schön, wie es gelaufen ist.“ Auch wenn er für den geplanten NHL-Re-Start Ende Juli/Anfang August noch nicht für einen Platz im Kader der Jets infrage kommt, Gawanke hat sich in der Organisation an einigen anderen Verteidigertalenten vorbeigespielt und aktuell eine gute Perspektive in Winnipeg. Dessen ist er sich bewusst, erkennt darin aber auch eine Verpflichtung. „Ich muss jetzt den nächsten Schritt machen, dass sie nicht mehr an mir vorbeikönnen“, betont der 21-Jährige kämpferisch.
Für diesen nächsten Schritt will Gawanke vor allem in seiner Defensivarbeit weiter zulegen, darauf sei er während der Saison und letztlich auch im Feedback-Gespräch mit dem Jets-Management zum Ausklang immer wieder hingewiesen worden. „Ich soll meine Defizite ausgleichen, noch kräftiger werden und dranbleiben. Für die NHL müssen Defensive und Offensive gut werden und nächstes Jahr sind durch die Leistungen auch die Erwartungen höher“, erzählt Gawanke, der den Sommer in seiner Heimatstadt verbringt und gerade mit Kollegen von den Eisbären Berlin an seiner Fitness arbeitet. Dort, wo die Eishockey-Leidenschaft seinen Anfang nahm.
„Mein Vater hat bei der GASAG, dem damaligen Sponsor der Eisbären gearbeitet, Karten für ein Spiel bekommen und mich einfach mitgenommen. Da war ich noch fünf. Ich fand’s cool und wollte es auch probieren“, erzählt Gawanke. Gesagt, getan. Es folgte ein Probetraining bei den Eisbären und die Faszination ließ ihn nie wieder los. „Eishockey war immer mein Lieblingshobby, jetzt habe ich aus dem Spaß meinen Beruf gemacht“, merkt Gawanke an, „und wenn es Phasen gibt, wo es an einem nagt, dann muss man sich einfach schütteln und daran denken, wie gesegnet man eigentlich ist.“
Womöglich ist dies auch ein gutes Rezept für die aktuelle Phase, denn wie lange das Krafttraining in der Heimat dauert, kann wegen der anhaltenden Ungewissheit keiner vorhersehen. Gawanke will gleichwohl aus der Not eine Tugend machen: „Vielleicht ist der lange Sommer eine Chance, dass man noch mehr Entwicklungsschritte machen kann als normalerweise.“ Gelernt hat er auch schon im ersten Profijahr eine Menge, der Schritt aus dem Nachwuchsbereich „war groß“, erinnert sich Gawanke, der 2016 nach Nordamerika ging und zunächst drei Jahre für die Cape Breton Screaming Eagles in der QMJHL spielte: „Man will das nicht glauben, aber merkt dann sofort im ersten Training, welche Intensität bei den Profis drinsteckt.“ Eine Intensität, an die er sich zügig anpasste.
Deshalb gehört Gawanke, dessen NHL-Rechte sich die Jets 2017 in der fünften Runde an Position 136 sicherten, inzwischen zum Kandidatenkreis für die Nationalmannschaft, die er „natürlich“ wie auch eine Olympia-Teilnahme als großes Ziel definiert hat. Toni Söderholm, der Gawanke auch aus dem DEB-U20-Aufstiegsteam von 2019 um Moritz Seider kennt, attestiert ihm „sehr, sehr hohes Potenzial“ und hebt einige Qualitäten des Rechtsschützen hervor. „Er übernimmt gerne Verantwortung auf dem Eis und kann das Spiel sehr gut nach vorne treiben. Dazu besitzt er einen sehr starken Schuss von der blauen Linie“, erklärt der DEB-Coach – und folgert: „Seine Größe, seine Reichweite und seine Kraft bieten ihm sehr, sehr viele Möglichkeiten.“
Gawanke weiß dennoch, dass es „nicht leicht wird“, einen der begehrten Plätze im DEB-Team zu ergattern. Seine Motivation ist allerdings umso größer, weil sich das deutsche Eishockey derzeit – die möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie außen vorgelassen – im anhaltenden Aufwind befindet. „Es ist aufregend und macht Lust auf mehr“, sagt er, „das deutsche Eishockey wird jedes Jahr besser, bekommt mehr Aufmerksamkeit und wird ernster genommen. Irgendwann wollen wir auch oben mitspielen.“
Bis 2026, so eine der Kernthesen des Konzeptes „POWERPLAY 26“, soll das deutsche Eishockey soweit sein, dass Medaillen regelmäßig in Reichweite sind. Gawanke wäre liebend gerne dabei, doch „bis dahin ist noch viel Zeit.“ Und wartet zum Beispiel die Erfüllung des NHL-Traums.
Fotos: Jonathan Kozub/Manitoba Moose – City-Press