Schaidnagel: „Wir brauchen Standards“

1.) Herr Schaidnagel, Bundestrainer Wissenschaft und Ausbildung: Was kann man sich darunter vorstellen? Was sind Ihre Aufgabengebiete?

Stefan Schaidnagel: „Ich bin für die sportfachliche Ausrichtung des Verbandes verantwortlich. Dies beinhaltet auch die enge Kooperation und Abstimmung mit den für den Eishockeysport wichtigen Institutionen wie dem Deutschen Olympischen Sportbund, den Olympiastützpunkten oder auch dem Institut für Angewandte Trainingswissenschaft. Außerdem gehören die Traineraus- und Weiterbildung sowie die sportfachliche Zusammenarbeit mit den Landesverbänden zu meinem Aufgabenbereich. Hinzu kommt die Unterstützung aller U- und A-Nationalmannschaften sowie die Mitarbeit bei der Spielerentwicklung und der Vereinsbetreuung.

2.) Seit 1. August haben Sie Ihre Stelle angetreten. Wie fällt Ihre Bestandsaufnahme nach einem knappen halben Jahr aus?

Schaidnagel: „Ich spüre eine große Aufbruchstimmung bei allen Beteiligten – ob nun bei den Vereinen, den LEVs, den beiden Profiligen oder im DEB selbst. Alle wissen um die Lage und ziehen an einem Strang. Der Schulterschluss ist auch notwendig, um die sehr komplexen Themen ganzheitlich zu lösen.“

3.) Wo sehen Sie die größten Defizite?

Schaidnagel: „Ganz klar im strukturellen Bereich. Jahrzehntelang wurde in vielen Bereichen dezentral und wenig abgestimmt gearbeitet. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Defizite gibt es zudem in der Trainer- und Nachwuchsausbildung. Wir brauchen gerade im Talentfördersystem sowie der Trainerausbildung und Spielerentwicklung einheitliche Standards. Optimierungsbedarf  gibt es auch hinsichtlich der integrierten Zusammenarbeit aller Beteiligten auf allen Ebenen. Hier wird es noch einige Diskussionen geben. Aber dieser Weg ist alternativlos.“

4.) Was waren Ihre wichtigsten Aufgaben in den ersten Monaten?

Schaidnagel: „Wichtig war, mich mit allen maßgeblichen Personen und Ebenen im Eishockeysport zu treffen, um mir ein Bild von der Situation zu machen. Ich habe mit jedem Partner über Wege der künftigen Zusammenarbeit auf sportfachlicher Ebene geredet. Das waren konstruktive, praxisnahe und sehr intensive Gespräche. Bis Ende April werde ich zudem alle Nationalmannschaften unter Wettbewerbsbedingungen gesehen haben. Zudem geht es begleitend um umsetzbare, praxisnahe Konzepte. Entscheidend wird aber sein, dass wir diese Konzepte vom Papier in die Köpfe und dann aufs Eis bringen.“

5.) Der DEB hat mit dem Konzept „Powerplay 26“ große Ziele formuliert. Wie kann man diese umsetzen?

Schaidnagel: „Zunächst einmal: Mit „POWERPLAY26“ haben Franz Reindl und das neue DEB-Präsidium eine faszinierende Vision für unseren Sport entwickelt. Dieses Feedback haben wir überdies auch vom DOSB erhalten. Um dieses ambitionierte Konzept erfolgreich umzusetzen, muss der Weg der zentralisierten Vereinsbetreuung – unterstützt durch aufeinander abgestimmte eishockeyspezifischen Inhalte – konsequent fortgesetzt werden. Im Bereich der Talentförderung mit den Partnern der LEV muss eine einheitliche leistungsorientierte Reform gelingen. Enorm wichtig ist zudem die Stärkung des Trainerberufs inklusive dessen Ausbildungsweg. Denn der Trainer als Bezugsperson für die jungen Sportler ist der wichtigste Akteur im Spielsport! 

6.) International zeigte die Leistungskurve der Nationalmannschaften eher nach unten. Ist das Mitreden um Medaillen bei WM und Olympia in zehn Jahren überhaupt realistisch?

„Wer keine Ziele hat, hat auch keine Chance jemals etwas zu erreichen! Das gilt überdies nicht nur für den Sport. Wichtig ist es, mit einem Plan loszumarschieren. Unser Plan heißt „POWERPLAY26″. Es gibt immer Faktoren, die im System oder in einem Wettkampf nicht beeinflussbar sind. Erfolg ist nur bis zu einem bestimmten Punkt planbar. Es geht darum, 2026 international wieder konkurrenzfähig zu sein. Wenn wir das dann schon durch eine Medaille dokumentieren können – umso besser!“

7.) Hat der DEB überhaupt die personellen Mittel, um eine echte Leistungskultur zu entwickeln?

„Im Konzept „POWERPLAY26″ sind Leistungs- und Breitensport ausgewogen und aufeinander abgestimmt. Insofern findet dieser Aspekt auch hier Berücksichtigung.“ 

8.) Für die Umsetzung von „Powerplay 26“ wird man das gesamte deutsche Eishockey, eher für Zerstrittenheit bekannt, in ein Boot holen müssen. Haben Sie positive Signale für ein Umdenken feststellen können?

„Dies ist ein ganz zentraler Punkt. Die besten Konzepte sind Makulatur, wenn nicht alle dahinter stehen. Aber auch in diesem Punkt bin ich sehr optimistisch. Alle Institutionen im deutschen Eishockey sind sich dessen bewusst und arbeiten konstruktiv zusammen.“

9.) Die Ausländerfrage und inzwischen auch der Einbürgerungsboom sind heiß diskutierte Themen im deutschen Eishockey. Was sagen Sie dazu?

„Die Ausländerfrage, bzw. die Frage nach deren Anzahl pro Mannschaft und die Thematik „Einbürgerung von Profisportlern“ müssen meines Erachtens nach getrennt voneinander behandelt werden. Die Einbürgerung unterliegt schlichtweg gesetzlichen Vorschriften und hat Schnittflächen zum Teil bis ins Grundgesetz. Unabhängig davon ist es sicher zu kurz gegriffen, die Leistungsfähigkeit eines Systems an der Frage der Einbürgerung festzumachen. Aber auch hier stehen wir mit unseren Partnern aus den Ligen in engem Austausch.“

10.) Das deutsche Eishockey ist gerade bei den Trainer- und Managerposten fest in nordamerikanischer Hand. Wo sind die deutschen Trainer? 

„Wir haben deutsche Trainer und wir haben auch sehr gute deutsche Trainer. Es ist indes auch eine unserer Herausforderungen, die inländischen Eishockeytrainer zu fordern und zu fördern, um sie in saubere Anstellungen zu bringen. Die ersten Veränderungsprozesse im Ausbildungssystem sind angestossen. Ich sehe hier eine positive Tendenz und bin überzeugt, dass die Richtung stimmt. Wichtig ist mir aber auch zu erwähnen, dass wir ausgezeichnete ausländische Trainer im System haben.“

11.) Hat es in der Vergangenheit an der Ausbildung deutscher Trainer gemangelt? Muss sich der DEB diesen Schuh anziehen?

„Mich interessiert nicht, was gewesen ist, sondern wie wir besser werden können. Dazu gehört, dass wir unsere einheimischen Trainer stärker in den Fokus stellen. Ebenso richtig ist, dass wir im Ausbildungssystem Optimierungsbedarf haben. Auch die Fortbildung, d.h. die Vermittlung von aktuellen Tendenzen im Eishockeysport und der Trainingslehre müssen dynamischer werden. Diese Themen sind erkannt und Massnahmen eingeleitet Es braucht jedoch noch Zeit, um auch hier professionell aufgestellt zu sein!“

12.) In diesem Jahr steht die wichtige WM-Qualifikation vor der Tür – ein Jahr später die Heim WM 2017. Was sind ihre Erwartungen diesbezüglich ?

„Es wird sehr intensiv an einer sehr professionellen Organisation der Vorbereitung für das Olympiaqualifikationsturnier gearbeitet. Es muss das Ziel der ganzen deutschen Eishockeygemeinschaft sein, als Olympiateilnehmer in Köln und Paris die WM 2017 zu bestreiten.“

13.) Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wo muss das deutsche Eishockey in fünf Jahren stehen, damit „Powerplay 26“ eine Chance auf Verwirklichung hat?

„Ziel muss sein, die Massnahmen zu installieren und idealerweise schon einer ersten Überprüfung zu unterziehen. Darüber hinaus muss u.a. die Talentförderung im Bereich der 8 bis 12-jährigen inhaltlich auf ein höchstes Niveau gebracht sein.“